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AutorenbildMathias Klocker

Zwischen Krieg und Hoffnung: Eine Reise in die Ukraine








Start: 47° 47´´ N,22° 53′ 24
Ziel: 48° 37′ N, 22° 17′ 42
Kilometer: 144 km Buch: Ein ganzes Leben - Robert Seethaler Song: vielleicht in einem Jahr - Kasi Kamera: Leica R4


 

Früh am Morgen schlängelt sich der Zug bis an das Ende Rumäniens. Drei weitere junge Männer und ich, optisch könnten wir glatt aus derselben Familie stammen, durchqueren die zunehmend melancholische Landschaft. Ein Hirte mit einer Herde von bestimmt 500 Schafen zieht vorbei, hier und da sind kleine Hütten zu erkennen, ansonsten nichts als Wälder und Wiesen. Hier existiert kein Bahnhof mehr. Die drei Männer pfeifen aus dem Fenster, und der Lokführer hält an. Ich bleibe allein zurück, die Tür bleibt weit geöffnet. Ein seltsames Gefühl durchdringt mich. Endstation: Halmeu. Ich war wohl zu naiv; ich dachte, hier würde sicherlich ein Bus oder ein Taxi weiterfahren. Fehlanzeige. Hier gibt es nicht einmal eine Straße. Ein paar Hunde und zwei rumänische Männer. Ich greife nach meinem Handy und suche nach einem Taxi oder einem Weg zur Grenze. Wieder Fehlanzeige. Einer der Männer versucht, mir zu erklären, wie es weitergeht, entscheidet sich dann jedoch einfach dazu, mich in seinem Auto mitzunehmen. Nach einer etwa 10-minütigen Fahrt erreichen wir die Grenze. Ich möchte ihm 10€ geben, doch er lehnt vehement ab und verabschiedet sich mit den Worten "God bless you". Nun geht es zu Fuß weiter.


Doch schon nach 20 Metern das nächste Hindernis: Der Zollbeamte erklärt mir, aufgrund der aktuellen Umstände dürfe die Ukraine nicht zu Fuß betreten werden. Er sieht wohl meine Enttäuschung und tröstet mich. "Ich werde dir helfen", sagt er. An der Grenze ist nur wenig los; es gibt nicht viele Menschen, die derzeit darüber wollen. Der Zollbeamte fragt beim nächsten Auto nach einer Mitfahrgelegenheit für mich, und die etwa 70-jährige Erszebeth nimmt mich mit. Sie spricht weder Deutsch noch Englisch, ist aber unglaublich freundlich. Die Grenze zur Ukraine ist ganz anders bewacht als die rumänische. Es gibt Hunde und viele schwer bewaffnete Polizisten. Wir müssen aussteigen, unseren Pass vorzeigen und werden befragt. "Wieso möchten Sie in die Ukraine einreisen?", werde ich gefragt. Diese Frage habe ich mir im Vorfeld oft gestellt. Ich will es verstehen, ich möchte die Menschen treffen und mich mit ihnen unterhalten. Ich möchte Putin nicht die Chance geben, mir meine Reisefreiheit zu nehmen, und ich will die Ukraine unterstützen. Ich bin Touristiker, und ich möchte auch den Touristikern in der Ukraine helfen. Wir werden durchgewunken; die gemeinsame Reise mit Erszebeth endet nur wenige Meter hinter der Grenze. Sie geht hier einkaufen, und man kennt sie hier. Ihre Freundinnen organisieren mir ein Taxi in die nächste Stadt. Mein Reiseziel für heute ist ein Hotel in Mukatschewo, im Oblast Transkarpatien. Die Fahrt dorthin führt durch schöne Weinberge, einige Thermalbäder und sogar Skigebiete liegen auf dem Weg. Doch mehrere Straßensperren und Kontrollen zeigen die Spuren des Krieges. Angekommen im Hotel frage ich gleich nach dem nächsten Bunker und wie ich mich bei einem Bombenalarm verhalten soll. Die Dame an der Rezeption beruhigt mich: "Sie müssen keine Angst haben. Hier passiert Ihnen nichts." Ja, genau das wollte ich eigentlich verhindern.


Ich hatte mich natürlich vorab informiert, war über 1000 Kilometer von der Frontlinie entfernt und auch eine Handy-App für den Bombenalarm installiert, die auch wenige Minuten nach meiner Ankunft schon Alarm schlägt. Ich sitze gerade in einem Café am Fenster, und jetzt geht es mir wirklich nicht gut. Mir ist der Hunger vergangen. Aber niemand regt sich. Das Signal zeigt eine Bombe, die sich im ukrainischen Luftraum befindet und theoretisch eine Reichweite bis nach Mukatschewo hätte. Zum Glück ist nichts passiert. Zwei Dinge erinnern sehr eindrücklich an den Krieg in der Stadt: die Männer in Uniform, die vor allem auf dem Weg zum Bahnhof oder auch vom Bahnhof nach Hause zu sehen sind. Sie haben Fronturlaub und dürfen ihre Familie besuchen. Und das zweite sind die großen Bilder der verstorbenen Soldaten aus der Stadt. Das ist ein Anlaufplatz für Familie und Freunde, die hier Blumen ablegen und zu Gott beten. Nächster Halt: Uschhorod. Die Reise geht weiter mit dem Nachtzug. Der Zug kam aus Kiew mit der Endstation Uschhorod. Ich habe mir ein Ticket für die dritte Klasse gekauft, und es war verdammt schön. Aber auch sehr ruhig. Viele Soldaten, die in Kiew stationiert waren, befanden sich im Zug. Frauen besuchten ihre Männer. Auch Uschhorod ist auf jeden Fall eine Reise wert. Eine Stadt voller Studenten, die seit Kriegsbeginn richtig aufblüht. Die Einwohnerzahl hat sich beinahe verdoppelt, und es wird kräftig gebaut. Doch die Menschen wirken auf mich müde, und trotzdem sagen sie, dass Aufgeben für sie keine Option ist. Sie werden weiter kämpfen, da bin ich mir sicher.


















































 





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